Keep it simple: Ride & Smile – ein Erlebnisbericht von und mit Eric Haufe, Regina Taubenberger, Michael Hechtl und Stefan Neuhauser
Was erwartet einen Biker, der in eines der am dünnsten besiedelten Gebiete Mitteleuropas aufbricht, um den einen oder anderen Trail zu erkunden? Erst einmal viel Zeit, um über Landkarten zu brüten. Dass sich die Arbeit lohnt, steht außer Frage. Die Region Haute Provence im Südosten von Frankreich besticht durch ihre endlose Weite an unberührter Natur. Kahle Berggipfel fließen über sanfte Wiesenrücken hinab zu tiefen Lärchenwäldern, um zuletzt in schroffen und engen Schluchten zu verschwinden. Gerade zwischen Mai und Ende Juli wird jede Reise durch eine große Vielfalt an Gerüchen begleitet. Frischer Thymian, wilder Rosmarin und leuchtendblauer Lavendel säumen die Pfade. Surreal, aber vor allem wunderschön ist diese Kombination aus landschaftlichen Reizen, genialen Trails und exzellentem Essen. Ein Traum für jeden Biker!

Lichtspiele auf geschichtlichen Pfaden
Ja, nein, vielleicht? Sollen wir es wagen oder doch lieber wohlbehütet im Tal bleiben? Ganz wohl ist uns zu Beginn des Nachmittags nicht, als wir mit unseren vollgepackten Trans Alpine Rucksäcken die letzten 600 Höhenmeter bis zum Gipfel des Dormillouse in Angriff nehmen. Wind zieht auf. Die Regenschauer in nicht weiter Ferne über dem Ubaye Tal machen den anstrengenden Aufstieg über die alten Militärpisten nicht gerade zu einem Spaziergang. Frisch wird es in knapp 2.500 Metern Höhe auf dem Gipfel. Zum Glück hat in den großen Rucksäcken alles Platz, was man hier oben braucht. „Crazy“, eine andere Beschreibung fällt uns nicht ein: Hier Regen, da stechen einzelne Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke, der Wind peitscht ins Gesicht und ein 360°-Panorama mit dem Lac de Serre- Ponçon, der uns zu Füßen liegt! Die Abfahrt zeigt sich technisch zu Beginn, ehe wir auf einem in die Felswand gezauberten Militärweg Fahrt aufnehmen. Fahrspaß pur, ohne Kompromisse! Im unteren Teil gibt es im Bikepark von Montclar eine Vielfalt von sehr naturbelassenen Trails zu entdecken. Fast trocken und mit dem letzten Licht des Tages erreichen wir unser Hotel, das perfekt am Ende des Trails steht.

Wo Biker auf Esel treffen…
…ist meistens nicht viel los. Was lange noch nicht heißt, dass der Trail nichts ist. Mit Liftunterstützung geht‘s direkt in einen feinen Trail am Hang entlang, nie schwer zu fahren und mit breitem Grinsen verlassen wir den Lärchenwald. Ab Saint-Vincent-les-Forts hält uns nichts mehr auf vor lauter Trailflow – falsch gedacht. Abrupt ziehen wir an der Bremse, um nicht mit den Eseln zu kollidieren, die zwischen alten malerischen Höfen umherstapfen. Danke euch! Sonst hätten wir diesen genialen Platz wohl gar nicht wahrgenommen! Zum Abschied nochmal über die Fellnasen streicheln und weiter geht´s. Weitere 300 Höhenmeter Fahrspaß auf ganz hohem Niveau enden direkt am Ufer des Sees.

Natur-/Kunsttrail: Die wahre Definition
Unser Wirt in Verdaches macht uns neugierig auf eine kleine Spritztour. Rote Erde das gibt es sonst nirgendwo in der Gegend. Schnell die wichtigsten Dinge in die super leichten Compact EXP gestopft, ein Liter Wasser in der Trinkblase muss reichen. Abfahrt!

Musik?! Wo kommt die her? Die Schoner sind schon angelegt, die ersten 100 Höhenmeter Trail abgeritten. Lagerfeuer und Musik, Kinder rennen um eine kleine Hütte am Wegesrand. Etwas verdutzt bleiben wir stehen, um gleich herzlich begrüßt zu werden. Hier oben wo man mit nicht viel rechnet, steht das Refuge „Vieil Esclangon“. Unscheinbar, doch im Inneren ein wunderschönes Kunstwerk. Andy Goldsworthy, einer der bedeutendsten Naturkünstler der Gegenwart, hat es gestaltet. Im Inneren ist über eine komplette Wand eine dreidimensionale Line aus der roten Erde dieser Gegend gebildet. Diese stellt die bildliche Wiedergabe des Weges dar, der zu dieser Hütte führt. Insgesamt erschuf Andy Goldsworthy in dieser Gegend ein geschlossenes Kunstwerk, das man in rund zehn Tagen abwandern kann. Die Schlüssel für die verschiedenen Refuges können in Digne-les-Bains geholt werden. Am liebsten würden wir bleiben, so wunderschön ist dieser Platz! Noch in Gedanken schweifend rollen wir los und stolpern direkt über die erste knifflige Passage. Der technisch anspruchsvolle Trail erfordert volle Aufmerksamkeit, sonst liegt man auf der Nase. Was für ein Schauspiel! Tief Rote Erde, gespickt mit weißen Felsen und grünen Latschen, umgeben von den massiven Felsen des Clue de Barles.
Ziemlich müde kommen wir gerade noch rechtzeitig zum Abendessen in der kleinen „Gite de Flagustelle“ an. Gemütlichkeit macht sich bei feinster Küche und Rotwein in der kleinen Stube breit. Ob wir noch Lust auf ein wenig Live Musik hätten? Klar, sehr gern. Ganz anders als erwartet fällt die „Stubenmusi“ aus: Ein AC/DC-Coverkonzert vom Sohn des Hauses. Genial, der Vater serviert die „Infusion“ und acht geschaffte Gäste fangen nach und nach still an, mit dem Kopf zu nicken.
Von Wölfen und Aussteigern
„Seid ihr schon Wölfen und Mufflons begegnet?“ Ziemlich außer Atem von der brütenden Hitze, in der wir seit 2 Stunden unsere Bikes mal pedalierend, mal schiebend den Berg hinaufwuchten, brauchen wir etwas zu Lange um die Frage zu verstehen, die uns von zwei Männern in Tarnuniformen und geschulterten Gewehren gestellt wird. Sie erzählen uns von dem Projekt, das seit einiger Zeit hier läuft. Unter anderem per Hubschrauber werden Wölfe in die freie Wildbahn ausgesetzt, damit sie sich in der Region wieder ansiedeln, wie es schon einmal war, bevor der Mensch sie ausgewildert hatte. Ungestörten Lebensraum haben sie hier allemal. Irgendwo im Nirgendwo zwischen Cloche De Barles und den Montagne de Jouère tummeln sich die Wölfe und Mufflons. Diesen ist es wohl zu heiß und so sehen wir auch die nächsten Stunden kein Tier, geschweige denn eine Menschenseele.

Wir erreichen die Herberge La Bannette – Ziel unserer heutigen Reise. Eine Hommage an Gemütlichkeit und Gastfreundschaft. Etwas oberhalb von Thoard auf einem Hügel liegt dieser geniale Platz. Das ältere Paar lebt für diese Unterkunft. Alles, auch wirklich alles kommt aus eigener Herstellung oder von befreundeten Landwirten. Man versorgt sich hier selbst im Tal. Auch im Ort selbst ticken die Uhren anders, das merkt man sofort. Käse, Brote usw. werden hier direkt aus den alten Kombis verkauft, wie ein kleiner Straßenmarkt am Wegesrand. Touristisches Gewusel gibt es hier nicht. Lange sitzen wir gemeinsam am Esstisch mit unseren Gastgebern. Bei nur acht Gästebetten bleibt viel Zeit für Geschichten aus diesem Teil Frankreichs.
Montagne de Lure: Bike Biwak und Flow Trails
Mit Brotzeit im Gepäck gondeln wir am nächsten Tag mit dem VW Bus über die im Rennradsport bekannte Passstraße Richtung Signal de Lure. Schon von Weitem sieht der Gipfelaufbau ziemlich karg aus, doch dass hier oben auf einen Schlag gar nichts mehr wächst, ist schon schräg. Die geologische Besonderheit aus überwiegend Kalkstein findet sich sonst nur noch ein Stück weiter westlich am Mont Ventoux wieder. Mit 1826 Meter über Null überragt der Gipfel so ziemlich alles. Die Fernsicht – der Wahnsinn. Heute haben wir gar keinen Stress, wir schlafen direkt am Berg. Wir können der Verlockung einfach nicht widerstehen, eine Nacht unter freiem Himmel zu verbringen. So genießen wir die unvergessliche Abendstimmung bis zum letzten Licht und spielen noch ein bisschen mit unseren Bikes im Gelände. Rotwein mit Käse genügt uns hier oben. Kein Geräusch, kein Lichtstrahl beeinträchtigt unsere Wahrnehmung, als wir langsam in unsere warmen Astro Schlafsäcke schlüpfen. „Keep it simple“ – und so träumt jeder seinen Traum unter dem Sternenhimmel.


Um 05.15 Uhr wird es schon wieder heller. Stefan stapft schon hin und her, während wir noch gar nicht recht aus der Waagerechten wollen. Verschlafen schieben wir unsere Räder auf den Bergrücken, der nach Osten zieht. Eine Morgenstimmung wie aus dem Bilderbuch. Das dämmrige Morgenlicht streift über die Gipfel in der Ferne, der Nebel fliegt sanft durch die Täler – was will man mehr. Wir rollen gemeinsam der Sonne entgegen, die langsam beginnt uns aufzuwärmen. Über 1000 Höhenmeter feinster Flowtrail noch vor dem Frühstück! Die Locals vor Ort haben ein wahres Fest in die südlichen Flanken des Montagne de Lure geshaped. Hunderte optimal aufeinander abgestimmte Kurven durchziehen den Wald der nie enden will!
Zur Belohnung des sowieso schon sagenhaft schönen Frühmorgens reisen wir kurzerhand noch weiter nach Forcalquier. Das kleine verwinkelte Städtchen ist weit über die Gemeinde hinaus bekannt für seinen Wochenmarkt, der jeden Montag stattfindet. Er ist sogar der größte der ganzen Provence. Eingebettet zwischen Place du Bourguet, Place Matrial Sicard und den kleinen Gassen dazwischen herrscht schiere Reizüberflutung. Frische Oliven, frisches Obst, feinster Käse, bester Wein alles ökologisch hergestellt und aus der Region. Es herrscht reger Austausch unter allen Menschen, die hier etwas anbieten oder eben ihren Wocheneinkauf erledigen. In all dem Gewusel finden sich aber auch Plätze der Ruhe. In einem kleinen Innenhof lassen wir uns im Schatten nieder und lauschen einem jungen Einheimischen an der Klangschale. Ein Besuch ist ein absolutes Muss für alle, die das typische Flair der Provence lieben oder kennenlernen wollen.

Deadlands-Naturschauspiel mit Spaßgarantie
Geologische Unikate liegen in dieser Region irgendwie schon an der Tagesordnung. Nach rot und kahl folgt der letzte Streich. Mit Philippe, einem hier ansässigen Guide, kurven wir mit dem Auto in die Pampa, vorbei an Feldern, kleinen Ortschaften und Wäldern. Gehört haben wir schon einiges von den Terres Noires, diesen tief schwarzen surrealen Geländeformen. Mittlerweile pedalieren wir schon eine Weile auf Forstwegen bergauf und noch immer ist nichts davon zu erahnen. Hunderte Pedalumdrehungen später bleibt Philippe plötzlich stehen. Lediglich zwei Höhenmeter schieben wir unsere Bikes vom Forstweg und trauen unseren Augen kaum: Eine feine schwarze Linie verläuft Richtung Norden. Rechts geht es etwa 50 Höhenmeter extrem steil nach unten, links nicht ganz so weit!

Das ist mal ein Einstieg, der sich gewaschen hat. Protektoren an und los geht’s! Der Grip ist perfekt und mit dem Vertrauen in den Untergrund wächst die endlose Vorfreude auf einen unvergesslichen Run auf ausgesetzten schwarzen Graten, gerahmt von dunkelgrünen Lärchenwäldern. Merci für diesen Aperitif! Morgen geht’s auf große Tour.

Das verschachtelte Netz von Sträßchen, Pisten und Trails wäre ohne Ortskenntnisse eine wahre Tortur. Lange, aber nie steile Auffahrten im Schutz der Wälder lassen die Zeit bergauf angenehm vergehen. Die Runs kann man nicht beschreiben. Phänomenal! Achterbahn fahren mit dem Bike. Ausgesetzte Anleger, Wellen, kleine Sprünge und alles im perfekt aufeinander abgestimmten Verhältnis machen einfach nur endlos viel Spaß.
Wieder einmal schießen wir aus einem kleinen Waldstück heraus, die immer wieder zwischen den schwarzen Gesteinssektoren liegen. Doch jetzt bleiben wir irritiert stehen. Vor uns liegt ein riesiges, gefühlt weißes Plateau mit Steinverwirbelungen. Fast schon mystisch mutet die Landschaft an. Nichts fühlt sich mehr beengt oder gar gerahmt an. In der Ferne erkennen wir die hohen Berge der Haute Provence, uns zu Füßen liegen kleine Siedlungen mit tief grünen Wiesen und Feldern. Wir nehmen den Fokus weg vom Trail, legen unsere Bikes beiseite, um diese einzigartige Landschaft, diesen besonderen Fleck Natur, bewusst zu erleben.
Zeit ist relativ und so bemerken wir gar nicht, dass der Tag schon recht weit fortgeschritten ist. Der Aufbruch fällt uns dennoch nicht allzu schwer. Die Gewissheit, dass noch 700 Höhenmeter genialer Trail vor uns liegen, zaubert jedem von uns ein breites Grinsen ins Gesicht. Mit dem letzten Licht des Tages rollen wir in Digne-les-Bains ein. Voller unvergesslicher Eindrücke im Kopf skizzieren wir die Erlebnisse der Tage, bleiben bei gewissen Momenten stehen, gehen einen Schritt weiter, um zu guter Letzt festzustellen, dass wir das große Glück hatten, diese unvergessliche Woche gemeinsam erlebt zu haben.
Info
Lage: Alpe de Haute Provence. Das Département 04 liegt im süd-östlichen Teil Frankreichs und gehört zu der Region Provence Alpes de Côte d´Azur
Allgemeine Reise-Infos: http://www.france-voyage.com/frankreich-stadte/alpes-de-haute-provence-departement.htm
Tourismus Büro Digne les Bains: https://www.dignelesbains-tourisme.com/
Telefon: +33 (0)4 92 36 62 62
Beste Reisezeit: Anfang April bis November. Im nördlichen Teil ab Ende Mai wegen Schnee in hohen Lagen.
Anreise: Ab München über San Bernadino – Mailand – Turin – Briançon – Seyne – Digne-les-Bains
Unterkünfte an den Trailspots
Montclar: http://hotel-espace.business.site/
Les Terres Noires: http://cenidaigle.com/ und https://www.gite-flagustelle.com/
Etwas abseits der Terres Noires befindet sich eine Unterkunft, die landschaftlich traumhaft liegt und Abends ein wirkliches Topmenü auf den Tisch zaubert, der Umweg lohnt sich! Die Gite Auberge La Bannette bei Thoard: http://aubergelabannette.com/
Montagne de Lure: http://www.gite-les-vignaus.fr/
Trailinfos
Gpx Datei Montclar: https://www.visugpx.com/1331674258
Gpx Dateien Terres Noires: https://www.visugpx.com/1331674803 und https://www.visugpx.com/1331674956
Gpx Datei Montagne de Lure: https://www.visugpx.com/1376310529
Topoführer: Alpes de Hautes Provence VTOPO
Forcalquier: http://www.haute-provence-tourisme.com/fr/accueil/. Der große Wochenmarkt ist immer Montagvormittag bis 13 Uhr